Geschichte der böhmischen Flüchtlinge in Friedrichsgrätz

Ein Beitrag von Paul Daniel

Inhalt

I. Vorwort

II. Von Jesus Christus bis Johannes Hus

III. Von dem Tode des Johannes Hus bis zur Niederlage der Böhmen 1620

IV. Die Verfolgung der Evangelischen in Böhmen und Mähren

V. Die schlesischen Kriege und die Fluchtbewegung

VI. Die Gründung und das Leben in Friedrichsgrätz bis zum ersten Weltkrieg

VII. Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen

VIII. Die Niederlage der Deutschen im zweiten Weltkrieg und die Folgen

I. Vorwort.

Warum soll man die Vergangenheit noch einmal hervorholen und lange Geschehenes ins Bewusstsein rufen? Gott hat eine Geschichte gehabt mit den Vorfahren die uns hilft die Gegenwart besser zu verstehen und die eigene Identität richtig zu beurteilen.

Geschichtslos ist Gesichtslos!

Nur wer seine eigene Geschichte kennt, kann daraus für die Zukunft lernen.

Danken möchte ich allen die mir geholfen haben. Mein besonderer Dank gilt meiner Nichte Lydia Steinbach.

Zum besseren Verständnis bitte ich, auch die Fußnoten zu beachten.

Nürnberg, den 01. 07. 1997 Paul Daniel

II. Von Jesus Christus bis Johannes Hus

Das eigentliche Christentum beginnt mit Jesu Auferstehung. Nach der Himmelfahrt versammelten sich 120 Menschen in Jerusalem, die an Jesus als den Messias glaubten. Zu Pfingsten, der Geburtsstunde der christlichen Kirche, kam der Heilige Geist auf die versammelten Gläubigen.

Das Christentum wurde am Anfang nur von Laien getragen. Es gab keine Bibelschulen, keine Seminare oder Theologische Fakultäten. Paulus lehrte Timotheus, Petrus – Markus, Lukas – Theophilus, u. s. w. Die ersten Christen versammelten sich in Häusern, Verstecken oder im Freien. Trotz Verfolgung hat sich das Christentum im ganzen Römischen Reich, mehr oder weniger schnell, ausgebreitet.

Schon am Ende des ersten Jahrhunderts begannen sich jedoch bestimmte Strukturen zu entwickeln mit Ämtern und Lehrmeinungen. Diese Entwicklung verstärkte sich noch, als Kaiser Theodius 380 das Christentum endgültig zur Staatsreligion erhob. Menschen wurden zu Christen nicht mehr nur aus Überzeugung ,sondern eben auch aus Berechnung. Ein Amt in der Kirche war nicht mehr mit Hingabe und Verfolgung verbunden, sondern mit Ansehen und Macht.

Da das römische Reich von Rom aus regiert wurde und Apostel Petrus als erster Bischof der christlichen Gemeinde in dieser Stadt war, was lag da näher als, dass auch der Gemeindevorsteher – der Bischof von Rom – zur Autorität für das gesamte Christentum wurde.

Leo der Große, von 440 – 461 Bischof zu Rom, wird als der Begründer des Papsttums angesehen. Das römische Reich wurde damals von germanischen Stämmen bedrängt. „In dieser Zeit des Zusammenbruchs brauchen wir eine starke zentrale Ordnungsmacht und das kann nur der Papst von Rom sein sagte Leo der Große.“ (Stemberger S. 178)

Die Kirche gewann im Mittelalter immer mehr an Macht. Kein König und kein Kaiser konnte ohne die Zustimmung des Papstes regieren. (Beispiel: Canossa Gang 1077 – Heinrich IV contra Papst Gregor VII) Der Papst wurde am Gipfel der Macht der Herr der Welt genannt und als Papstkaiser gefeiert.

Je mächtiger das Papsttum und die Kirche wurde um so mehr verweltlichte sie. Es ging oft mehr um Macht, Geld, Bestechlichkeit und Intrigen, als um Christusnachfolge, und Menschenliebe. Nur die Priester konnten für Lebende und die Toten Sündenvergebung vermitteln. Statt Gnade und Vergebung mussten gute Werke und Gelübde erfüllt werden.

Christus wurde nur noch als der gefürchtete Weltenherrscher gepredigt. Hilfe und Fürsprache suchte man bei den Heiligen, den Schutzpatronen, den Nothelfern, oder bei Maria der Himmelskönigin.

Der Papst verwaltete den Überschuss an guten Werken der Kirche, die sie durch Märtyrer, Mönche und andere Heilige angesammelt hatte. Diese verkaufte er dann durch ausgewählte Mönche an Menschen die dadurch ihre Strafe im Fegefeuer mildern oder je nach Bezahlung ganz erlassen bekamen. (sog. Ablasshandel) Der Reliquienkult blühte, und die Menschen lebten in großer Furcht vor Gottes Richterzorn.

Aber es gab in dieser dunklen Zeit auch Männer und Frauen, die aufgrund des Lesens der Bibel, die Kirche zu erneuern versuchten.

Dazu gehörte u.a. :

Petrus Waldus in Frankreich

John Wiclif in England

Johannes Hus in Böhmen

Girolamo Savonarola in Italien

Bis auf Wiclif starben alle den Märtyrertod. Die Kirche duldete keine Erneuerung. Johannes Hus starb 1415 in Konstanz den Flammentod.

III. Von dem Tode des Johannes Hus bis zur Niederlage der Böhmen 1620

Das ganze Volk der Böhmen und Mähren wurde von der Reformation des Johannes Hus erfasst. Fast 90% des Volkes bekannten sich zu den „Hussiten“. Diesen Aufstand wollte der Papst und der deutsche Kaiser nicht dulden. Fünf Kreuzzüge wurden organisiert, ohne dass die Hussiten geschlagen werden konnten. Erst durch ihre eigene Uneinigkeit wurden sie besiegt.

Angesichts des furchtbaren Mordens und Leidens in den Hussitenkriegen schlossen sich, 42 Jahre nach dem Tod von Johannes Hus, 1457 in Kunwald Männer und Frauen zusammen, zu einer Gemeinschaft „der Brüder und Schwestern des Gesetzes Christi“. (Der späteren Brüderunität – Jednota bratrska)

Sie lehnten jede Gewaltanwendung ab. Kein Mord, oder Totschlag, – Liebe ohne Rache – war ihre Losung. Ihre Gemeinschaft gründeten sie wie die Urkirche nur auf Christus. Drei Begriffe prägten die Gemeinschaft. Glaube an die großen Heilstaten Gottes, Liebe als Aufgabe in der Wirklichkeit in der wir leben und Hoffnung wofür ist unsere Bestimmung.

In einer Zeit relativen Friedens wurde bereits 1541 ein Liederbuch (Lieder zum Lobe Gottes) herausgebracht und 1594 ist die Bibel ins Tschechische übersetzt und gedruckt worden.

Auch Martin Luther bekannte nach sorgfältiger Prüfung. „Seit den Tagen der Apostel hat es keine Kirche gegeben, die sich in ihrer Lehre und in ihren Gebräuchen klarer dem Geist des apostolischen Zeitalters genähert hat, als die Böhmischen Brüder“. (Hasse S. 21)

Zum angestrebten Zusammenschluss kam es aber nicht. Luther erklärte damals: „Seid ihr die Apostel der Böhmen, ich und die Meinigen wollen die Apostel der Deutschen sein und gemeinsam wollen wir das Werk Christi treiben.“ (Korthaase S. 12) Nur kurz dauerte die relative Freiheit der Bruderkirche.

IV. Die Verfolgung der Evangelischen in Böhmen und Mähren.

Nach der Niederlage der Evangelischen 1620 am Weißen Berg bei Prag setzte die Gegenreformation ein. Schon 1627 kam ein Gesetz heraus, das nur „die römisch-katholische Kirche“ als einzige Religion im Lande der Böhmen und Mähren erlaubte.

Schwerste Verfolgungen brachen an. Mit Hilfe einer verwilderten Soldateska und der Jesuiten ging Kaiser Ferdinand II rücksichtslos gegen die Evangelischen vor. Männer, Frauen und Kinder, die sich nicht zum Katholizismus bekannten, wurden ins Gefängnis geworfen. Tausende starben an den Folgen dieser Verfolgung oder an der Folter. Wieder andere wurden aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, oder verließen freiwillig , oft unter Lebensgefahr,1 das Land. Sie siedelten sich in Polen, Ungarn, Preußen oder Sachsen an.

„Sieh, wie das Land aussieht; wo früher 100 000 Bauernhöfe waren, sind es jetzt kaum

30 000. Wo sind die sauberen Dörfer? Jetzt nur noch verfallene Ruinen! Diese Verbrechen, dieser Strom von unschuldigem Blut schmerzt mich bis in die Tiefen meiner Seele, und ich kann dieser unerhörten Verwüstung nicht mehr mit reinem Gewissen zusehen!“ (Riedel, S.91), klagte Kardinal von Dietrichstein. Flehentlich bat er in seinen Briefen an Kaiser Ferdinand II in Wien um sofortige Einstellung des sinnlosen Blutbades und des grausamen Seelenmordes. Umsonst. Evangelische und Juden blieben Freiwild.

An Kirchentüren und Rathäusern waren für jedermann einsichtig folgende Texte angeschlagen: „Ich schwöre bei dem allmächtigem Gott, und der heiligen Jungfrau, dass ich nicht aus Zwang, sondern aus freiem Willen zu dem heiligen röm.-kath. Glauben zurückkehre.“ (Riedel S. 91)

Um den Verfolgungen zu entgehen, traten viele der katholischen Kirche bei. Im Inneren hielten sie jedoch am Glauben der Väter fest. Zum Schein besuchten sie die Kirche, hielten die Marienfeiertage und beichteten. Im Geheimen versammelten sie sich in Wäldern und auf einsamen Plätzen. Bei geschlossenen Fensterläden lasen sie aus der Kralitzer Bibel und beteten. Von Zeit zu Zeit besuchte sie aus dem Ausland ein Prediger mit Bibeln und Büchern. Er teilte das Abendmahl aus, segnete Ehen und die Kinder und stärkte die Verfolgten im Glauben. Wehe wenn er gefangen genommen wurde!

Noch 1726 wurde mit kaiserlichem Erlass „Ketzerei“ zum Staatsverbrechen erklärt und harte Strafen dafür festgelegt. Je nach Schwere des Vergehens wurden die Unglücklichen z. B. zur Zwangsarbeit bis zu 3 Jahren, Auspeitschung oder zum Galeeren Dienst – was einer Todesstrafe gleich kam, verurteilt. Eltern wurden ihre Kinder abgenommen und zuverlässigen katholischen Familien oder Klöstern übergeben. Und dennoch, trotz aller Schikanen blieben viele im Herzen evangelisch.

V. Die schlesischen Kriege und die Fluchtbewegung.

Während der drei schlesischen Kriege von 1740 bis 1763 besetzte die preußische Armee Teile von Böhmen und Mähren. Eine Fluchtwelle der unterdrückten Evangelischen aus diesen Ländern setzte nach Schlesien ein.

Die meisten der Flüchtlinge waren freie Bauern und Handwerker. Oft haben sie ein beträchtliches Vermögen in der alten Heimat zurückgelassen. „Es waren Menschen mit hohen moralischen Grundsätzen, charakterstark, mit einer tiefen Religiosität, fest verbunden in der Glaubenstradition der evangelischen Bruderkirche,. Die Besten der Besten!“ (Sula S.136) Nach über 100 Jahren Verfolgung waren sie jedoch seelisch müde und körperlich erschöpft. Sie verließen unter schwierigsten Umständen die geliebte Heimat,2 obwohl sie wussten dass die Emigration ein Weg in die Armut war.

Die Gläubigen verbanden mit der Flucht jedoch drei große Hoffnungen:

Ohne Angst die Bibel zu lesen,

ohne Heuchelei und Verstellung leben zu können,

in einer evangelischen Gemeinschaft mit Gleichgesinnten sein zu dürfen.3

Schlesien wurde in Folge der drei Kriege preußischer Besitz. König Friedrich II von Preußen förderte die Auswanderung. Er versprach den Flüchtlingen genügend Arbeit und Verdienstmöglichkeiten. Bauern wurde soviel eigenes Land versprochen, dass sie schon nach einem Jahr ihr eigenes Brot essen könnten. Jeder Zuwanderer bekomme zusätzlich noch das begehrte Neue Testament und ein Gesangbuch in tschechischer Sprache geschenkt. Außerdem sollten für die Exulanten eigene Kirchen und Schulen gebaut werden.

Friedrich II legte kein Gewicht auf die jeweilige Religion seiner Untertanen. Für ihn zählte ihre Anzahl, ihr Gehorsam und ihr Fleiß.

Am Anfang siedelten sich die Flüchtlinge nahe der böhmischen Grenze in Münsterberg an, wo sie Arbeit und Wohnungen fanden. Mit wachsender Zahl der Emigranten wurde es eng in der Stadt. Die Armut unter den Flüchtlingen war sehr groß. Viele wanderten darum weiter nach Berlin. Dort gab es bereits eine böhmische Siedlung und bessere Arbeitsmöglichkeiten. Manche fanden eine neue Heimat in den neu gegründeten Orten Hussinetz und Friedrichstabor. Wieder Anderen wurde angeboten, sich im Krascheower Wald nicht weit von Oppeln anzusiedeln.

VI. Die Gründung und das Leben in Friedrichsgrätz bis zum ersten Weltkrieg.

Am 25. September 1752 wurde per Erlass des Königs eine Siedlung mit den ersten 33 Familien gegründet. Die Kolonisten, wie die Flüchtlinge jetzt hießen, nannten das Dorf zu Ehren des Königs FRIEDRICHSGRÄTZ.

Jede Familie bekam durch Losentscheid 18 Morgen (ca. 4,5 Ha) Land zugeteilt. Der König sicherte den Siedlern religiöse Freiheit zu und für 10 Jahre wurden sie von allen Steuern und Abgaben befreit. Die Männer und ihre Nachkommen sollten keinen Militärdienst leisten müssen. Jede der Siedlerfamilien bekam zusätzlich eine kleine finanzielle Unterstützung und kostenlos Holz für den Bau ihrer Häuser. 100 Familien sollten in der Siedlung eine neue Heimat finden.

Der Anfang war sehr schwer. Die Urbarmachung des abgebrannten Waldes ging nur langsam voran. Aus dem Sandboden wie Asche war kaum etwas herauszuholen. Viele Flächen waren zu allem Übel noch versumpft. Man glaubte unter den Siedlern, dass es die Rache der katholischen Beamten war, „die den evangelischen Flüchtlingen den schlechtesten Boden in der ganzen Gegend zugeteilt haben.“ (Mican S.14) Trotz der schweren Umstände wuchs die Siedlung. Nach 3 Jahren hatte sie schon 300 Einwohner und 1765 standen bereits 90 Häuser, teilweise mit 2 Familien belegt.

Die meisten der Flüchtlinge kamen aus Nordböhmen. Nur wenige Familien wissen heute noch ihren Herkunftsort, z. B. Fam. Mally stammt aus Nepasice, Fam. Prochazka aus Kostomlaty, Fam. Novak aus Drahelic und Cermna, Fam. Sterzik aus Stence und Horni Sloupnice u.s.w.

Überwiegend gehörten sie zu der Kirche der Böhmischen Brüder. Nur unter dem Druck der Behörden, die ihnen androhten, dass sie sonst das Dorf verlassen müssten, schlossen sie sich der reformierten Kirche an. Diejenigen aber, die sich der Kirche trotzdem nicht anschließen wollten, wanderten lieber nach Berlin aus.

Der erste Pfarrer Ondrej Stetina (Andreas Stettinus) blieb 50 Jahre in Friedrichsgrätz, wo er mit 99 Jahren starb. Sein Dienst war schwer, das Gehalt klein.4 Die Siedler waren zu arm um ihren Pfarrer und die Kirche angemessen zu unterhalten. Noch nach 30 Jahren Dienst wohnte er mit seiner großen Familie in einem unfertigem Pfarrhaus ohne eingesetzte Fenster.

Ein Dokument von 1812 beschreibt die Kirche (die Siedler nannten sie „modlitebna“ = Gebetsort) folgendermaßen: „Sie steht mitten im Dorf, aus Holz mit Spenden erbaut, ohne Orgel, die Glocke ist so klein, dass man sie nicht im ganzen Dorf hören kann.“ (Sterikova ,Zeme S.61)

In einem Schreiben an den Kirchenrat von 1819 lobt der Pfarrer seine Gläubigen: „Sie gehen treu zur Kirche, es gibt kaum eheliche Untreue, das Alkohol trinken ist nicht so verbreitet wie in den Nachbarorten.“ 5 (Sterikova Zeme…S. 62) Die Bibel und das Liederbuch haben nicht nur an den Sonn- und Feiertagen ihr Denken und Handeln bestimmt, sondern auch den Alltag.

Bis 1875 wurde im alten Gebetshaus nur tschechisch gepredigt. Danach auf Anweisung der Behörden 4x im Jahr deutsch, später abwechselnd tschechisch und deutsch, ab etwa 1938 nur noch deutsch.6

In der Schule wurde bis 1830 in tschechischer Sprache unterrichtet. Trotz des Versprechens an die ersten Siedler in eigener Sprache unterrichtet zu werden, wurde in der Schule die deutsche Sprache eingeführt. Alle Proteste der Einwohner dagegen waren ohne Erfolg, obwohl noch im Jahre 1910 keins der neu eingeschulten Kinder Deutsch sprechen konnte.7

Der karge Boden konnte die großen Familien nicht ausreichend ernähren.8 Große Armut war ein ständiger Begleiter .9 Darum mussten viele einem Nebenverdienst nachgehen. Als Schuster und Weber suchten sie in den umliegenden Dörfern und Städten nach Käufern für ihre Erzeugnisse. 1845 gab es in Friedrichsgrätz z. B. 48 Schuster und 51 Stoffweber. Sehr oft mussten sie weite Strecken zu Fuß zurücklegen und ihre Ware unter Preis verkaufen, nur um Lebensmittel für die Familien einzukaufen und die Schulden, Pacht, oder Steuern zu bezahlen.10

Auch die kleinsten Kinder mussten schwer arbeiten. Ohne die Mithilfe der Kinder hätten die armen Familien kaum überlebt. Die Kinder arbeiteten vor allem als Weber und Heidelbeerenpflücker. Viele Tonnen Heidelbeeren wurden in guten Jahren in den Wäldern gepflückt und an Sammelstellen oder auf Märkten der Städte verkauft.11

Um Platz für die großen Familien und die neuen Siedler zu schaffen, mussten neue Dörfer gegründet werden.

1776 MÜNCHHAUSEN 12

1832 PETERSGRÄTZ 13

1904 WILHELMSHORT 14

Alle vier Dörfer hatten die gleichen Vorfahren (böhmische Flüchtlinge) und in etwa dieselben Sitten und Bräuche.

Die ersten Häuser in Friedrichsgrätz waren alle aus Holz gebaut.15 Der Friedhof wurde ca. 1 Km vor der Ortschaft angelegt. Da die Gemeindeverwaltung arm war, mussten am Anfang die Hinterbliebenen das Grab für ihre Toten selber ausschaufeln.

Erst 1890 wurde eine neue Kirche aus roten Ziegelsteinen gebaut. Die Gemeinde musste für den Bau ein Darlehen von 15 000 Mk aufnehmen. (1945 im Jahr der Flucht war die letzte Rate dafür fällig.) Dazu kamen 13 000 Mk Spendengelder aus ganz Deutschland. 2,40 Mk musste jede Kolonisten-Familie zum Neubau der Kirche beitragen, die „Halbkolonisten“ zahlten die Hälfte, die Besitzlosen mussten nur 50 Pfg. zahlen.

Friedrichsgrätz hatte damals 1430 Einwohner. Man rechnete damit, dass etwa die Hälfte davon am Sonntag den Gottesdienst besuchen würde. Darum wurden 310 Sitzplätze errichtet und noch einmal so viele Stehplätze.16

8x im Jahr wurde das Abendmahl gefeiert. Da die Kirchengemeinde auch arm war, wurde von den Teilnehmern des Mahls ein Beitrag für Brot und Wein erhoben.

Die neue Schule ist 1895 errichtet worden, und 1906 endlich das neue Pfarrhaus.

Das ganze Dorfbild veränderte sich nach den beiden großen Bränden. 1894 brannte 1/4 der Holzhäuser ab. 10 Jahre später vernichtete das Feuer fast den ganzen Rest des alten Dorfes.17 Mit großem Fleiß und eiserner Sparsamkeit baute man daraufhin Ziegelhäuser, wie sie heute noch stehen.

Die wirtschaftliche Situation besserte sich nur langsam.18 Wer von den Männern Zuhause keine Arbeit fand, suchte sie in den deutschen Großstädten Berlin oder Leipzig. Beim U-Bahn-, Straßen- oder Kanalbau verdienten sie bei schwerster Arbeit ihren Lohn.19 Die jungen Mädchen verdienten ihr Geld als Waldbebpflanzerinnen,20 Straßenbauerinnen21 oder als Mägde bei Großbauern in Sachsen Anhalt, Bayern und Mecklenburg.22

VII. Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.

Langsam aber sicher setzte sich der deutsche Einfluss durch. Man kann sagen sie wurden gute deutsche Staatsbürger. Dazu hat sicher die katholisch-polnische Umgebung beigetragen. Im sog. Polenputsch 1921 stellten sich fast alle Bewohner von Friedrichsgrätz geschlossen auf die Seite der Deutschen (von 1252 Wahlberechtigten stimmten nur 13 für den Anschluss an Polen).

Im ersten und im zweiten Weltkrieg kämpften und starben sie aus Überzeugung für das deutsche Vaterland. Leider mussten sie auch gegen ihre eigenen Glaubensbrüder aus Zelow (Polen) und Michajlowka (Russland) kämpfen. Bedingt durch die politischen Veränderungen wurden sie jetzt zu Feinden.

Nach dem ersten Weltkrieg setzte sich allmählich auch die deutsche Sprache durch.23 Meine Generation sprach nur noch Deutsch. (z. B. unsere Eltern sprachen untereinander und mit den Großeltern Tschechisch, mit uns jedoch nur Deutsch.)

In den 20er Jahren ist eine geistliche Erweckung ausgebrochen. Viele kamen zu einem lebendigem Glauben an Jesus Christus. Sie schlossen sich der neu entstandenen Pfingstgemeinde an. Ca. 200 Personen, darunter viele junge Menschen, füllten den Versammlungsraum der Gemeinschaft. Es gab einen großen Gesangschor mit vielen Musikern. Alle blieben jedoch weiter in ihrer Kirche, sie ließen sich dort taufen, konfirmieren, trauen und beerdigen. Kirchenleben und Religiosität sind so bis in die Neuzeit lebendig geblieben.24

Friedrichsgrätz war ein schönes Dorf, mittendurch der Bach,25 umrahmt von Lindenbäumen. An einem Ufer des Baches verlief die Hauptstraße, auf der anderen Seite, parallel dazu ein breiter Weg. Regelmäßig angeordnet, reihten sich die Häuser aneinander, die schnurgerade Straße und den Weg entlang.26 Hinter den Häusern standen Schuppen, Scheunen und Ställe.

Vor jedem Haus war ein Garten mit vielen Blumen. Die Bewohner umliegender Orte nannten darum Friedrichsgrätz auch Liebesgrätz. Vor den Gartentoren standen Bänke, auf denen sich die alten Frauen und Männer unterhielten, oder einfach ausruhten und das Dorfleben beobachteten.

Die Soldaten, die beim Polenfeldzug 1939 in Friedrichsgrätz Rast machten, meinten, es sei das schönste Dorf das ihnen auf der ganzen Fahrt begegnet ist.

Handwerklich war Friedrichsgrätz unabhängig, – Bäcker, Fleischer, Schuster, Schmiede und Schneider – alles war vorhanden. Allerdings hat es im Dorf, trotz der zuletzt 2000 Einwohner, nie einen eigenen Arzt gegeben, sondern nur eine Gemeindekrankenschwester (zuletzt war es Schw. Gertrud, eine Diakonisse der „Mutter Eva“ Anstalten). Müllabfuhr gab es auch keine, alles wurde wiederverwertet.27

Die meisten Ehen wurden untereinander geschlossen.28 Kaum einmal fand ein Fremder Zugang zur Dorfgemeinschaft.29 Viele waren miteinander verwandt und verschwägert. Im Dorf gab es nur Tanten und Onkels. Das förderte natürlich auch das Zusammengehörigkeitsgefühl.30 Es entwickelte sich eine Sprachinsel mit Wörtern die es sonst nirgendwo in der Welt gab.31

Wegen der vielen gleichen Namen, kannte man sich eher unter verschiedenen Bei- oder Spitz- Namen.32

VIII. Die Niederlage der Deutschen im zweiten Weltkrieg und die Folgen

Im Januar 1945 mussten die meisten der über 2000 Einwohner flüchten. Nur Einzelne sind geblieben und haben den Einmarsch der Russen und später die polnische Besatzung miterlebt. Dieses war eine sehr schwere Zeit.33

Deutschland verlor den zweiten Weltkrieg. Schlesien, (und damit Friedrichsgrätz, Petersgrätz, Münchhausen und Wilhelmshort) mussten in Folge der Niederlage Deutschlands an Polen abgegeben werden. Die leeren Häuser und Bauernhöfe wurden mit Polen aus Galizien (sog. Hadschaje – selbst Vertriebene) besetzt. Heute sind es alles restlos polnische Dörfer mit einer katholischen Bevölkerung.

Die ehemaligen böhmischen Flüchtlinge mussten wieder einmal Heimat, Hab und Gut verlassen. Sie erinnerten sich ihrer Böhmischen Vorfahren und viele siedelten sich deshalb in der Tschechei an. Besonders in den Städten Nejdek, Chodov und Umgebung (ehemaliges Sudetenland) fanden sie eine neue Bleibe. Die Tschechen nannten sie Slezaci – die Schlesier –. Manche beschimpften sie sogar als deutsche Faschisten.

Sobald es die Umstände erlaubten, siedelten die meisten von ihnen in die Bundesrepublik Deutschland über. Zurückgelassen hat fast jede Familie ein oder mehrere Gräber.

Heute leben Sie an vielen verschiedenen Orten in Deutschland, so zum Beispiel in Braunschweig, Frankfurt, Nürnberg und Schorndorf, doch sogar auch in Kanada und Australien wohnen einige der ehemaligen Flüchtlinge. Durch ihren sprichwörtlichen Fleiß und ihre Sparsamkeit, haben sie wieder Wohnungen und Häuser gebaut.

Die jungen Leute sprechen kein tschechisch mehr. Sie fühlen sich als Deutsche, Kanadier, oder

Australier. Bald wird die alte Heimat in Schlesien vergessen sein. An Ihre böhmischen Vorfahren, die so viel um des Glaubens willen gelitten haben, sollten sie sich aber dennoch erinnern und dazu soll diese Schrift eine Hilfe sein.

Sterbend haben unsere Vorfahren nicht nur ihr Erbe verteilt,

sondern dazu ihren Segen weitergegeben.

Sie haben ihre Äcker bestellt, ihre Herden gehütet,

sie haben all ihre Arbeiten getan

und Gott um seinen Segen gebeten.

Das ist ein Segen! (Aus „Leben weitergeben“)

Literaturhinweise:

Sternberger 2000 Jahre Christentum (Pawlak Herrsching 1983)

Korthaase Das Böhmische Dorf in Berlin – Neukölln 1737 -1987 (Hentrich Berlin 1987)

Riedel Der Zukunft verschworen (Evang. Verlagsanstalt Berlin 1975 )

Hasse Die Brüder in England (Ludwig Appel Hamburg 1951)

Hlavnicka To jsou ti, kteri přišli z velikého souženi (unbekannt)

Mičan Ve Vyhnanství (Biblická Jednota Brno 1924)

Sterikova Země otců (Spolek exulantů Praha 1995)

Sterikova Z nouze o spasení (Kalich Praha 1992)

Sula Vychodočeský sborník historický 4 1994

1Aus einem Brief vom 10. 08. 1739: …“Ein junges Mädchen Anna Staskova ist mit noch vier anderen Seelen unterwegs gefangen genommen worden. Nach acht Tagen Gefängnis wurden sie hart verhört. Beim Verhör waren zwei Priester mit dabei . Nur das junge Mädchen blieb standhaft. Sie bekannte, evangelisch zu sein. Auf die Frage ob sie an Maria glaubt, antwortete sie: Ich glaube dass Maria und die Heiligen gereinigt durch das Blut Christi im Himmel sind. Glaubst du dann, dass sie dir helfen können? Sie antwortete: Nein, helfen können sie nicht. Darauf sagte einer von den Priestern: Gebt ihr 20 Schläge und wir wollen sehen ob sie Maria und die Heiligen rufen wird. Obwohl sie ihr den Mantel auszogen und sie so hart schlugen, dass Blut an ihrem Hemd klebte, rief sie mit klarer Stimme nur: Herr Jesus! Herr Jesus! Herr Jesus! Erbarme dich und hilf mir! Bei weiteren 10 Schlägen schrie sie noch lauter: Herr Jesus, Herr Jesus, hilf mir es zu ertragen! Der Priester meinte man sollte ihr noch einmal 20 Schläge dazulegen. Die Anderen jedoch hatten Erbarmen mit ihr: Sie hat für heute genug! Wieder im Gefängnis wurde sie angekettet, so dass sie nur 2 Schritte machen konnte. So blieb sie 10 Tage eingesperrt. An diesem Tag hat sich der Bürgermeister betrunken. Sie bat seine Frau, sie von den Fesseln zu lösen, damit sie ihre Notdurft verrichten könnte. Da die Bürgermeisterin viel Arbeit hatte, holte sie aus der Tasche ihres schlafenden Mannes die Schlüssel, befreite sie von ihren Fesseln und ging gleich weiter ihrer Arbeit nach. Das Mädchen sah, dass sie unbewacht ist und floh in den nahen Wald. Sie versteckte sich unter geschlagenem Gestrüpp und bat den Allmächtigen, sie mit seiner Hand zu decken. Gott erhörte ihr Gebet. Zwei Tage und Nächte wurde sie gesucht, die Suchhunde schnupperten ganz in der Nähe ihres Versteckes, ohne sie zu finden. Sie lag von Freitag bis Sonntag still da ohne Essen und Trinken. Als alles ruhig wurde machte sie sich Sonntag Nacht auf den Weg. Erst nach sechs Tagen ist sie bei uns in einem erbärmlichen Zustand angekommen.“ (Sterikova Zeme…S. 12, 13) Ein junger Vater erzählt folgendes. „Meine Frau war schwanger und ich trug bei der Flucht noch ein Kind auf dem Rücken. Bei der Rast im Gasthof schöpfte der Wirt Verdacht, dass wir flüchten wollen. Er mahnte uns zurückzukehren. Kaum haben wir das Dorf verlassen, schon sahen wir 2 Reiter hinter uns her. Gib mir das Kind, lauf schnell und versteck dich im Wald! Vielleicht haben sie mit mir Erbarmen, mahnte mich eine Frau. Ich bin entkommen. Meine Frau musste ins Gefängnis. Dort gebar sie Zwillinge, alle drei starben. Von meinem Sohn habe ich nie mehr etwas gehört.“ (Sterikova Z nouze… S. 10)

2 In den Dörfern und Kleinstädten hatten die alten Herrschaften immer noch das Sagen. Die Grenzen waren von Katholiken bewacht. Überall lauerten Räuber und Zuträger. Am leichtesten hatten es noch die ledigen jungen Männer. Als Handwerker verkleidet konnten sie am ehesten fliehen. Für Familien war die Flucht ein schweres und riskantes Unternehmen.

Meine Urgroßmutter erzählte mir von ihrer Urgroßmutter. Ihre Eltern haben sie als Kleinkind in ein Tuch gepackt und auf dem Rücken getragen. So sind sie in Friedrichsgrätz angekommen. In der böhmischen Heimat ist noch vor der Flucht das Vieh abgefüttert worden – es sollte nicht leiden -. Die Nachbarn durften die Flucht nicht bemerken. Alles wurde zurückgelassen. Leider oft auch Familienangehörige, die nicht emigrieren woll- ten oder nicht konnten.

Pastor Figulus aus Husinetz schreibt in einem Brief vom 4.11.1754 „…diese Tage sind 2 Familien mit Kindern aus Böhmen angekommen. Insgesamt 12 Personen. Die Flüchtlinge wollten ihr Vieh und Wagen mitnehmen. Jemand hat ihre Flucht verraten. Sie wurden verfolgt und von den Häschern eingeholt. Sie mussten alles zu- rück lassen. Einer sogar seine Frau mit 3 Kindern. Jetzt hofft er, dass sie nachkommen, dieses wird sicher nicht so bald sein.“ (Sterikova Z nouze… S. 80)

3Viele ihrer Helfer und Gönner, wie z. B. der bekannte Pietist August Hermann Francke (Halle) konnten es nicht verstehen, warum sie in der Fremde soviel Leid und Entbehrungen auf sich nehmen wollten. Es wäre doch besser, so ihre Meinung, sie blieben zu Hause um dort das Kreuz Christi zu tragen und Zeugen für ihren Gott zu sein.

4Die Pfarrer mussten meistens noch bis zu 5 Stationen mitversorgen und das ohne Auto und sonstige Verkehrsmittel. In einem Brief vom 8.11.1895 schreibt Pastor Kmet „Mein Dienst ist nicht nur in Friedrichsgrätz sondern auch im 45 Km entfernten Lubin. Dort diene ich 3x im Jahr 400 Nachkommen böhmischer Flüchtlinge. 8x im Jahr bin ich im 30 Km weiten<< Petersgrätz. Hier wohnen 800 Nachkommen dieser Flüchlinge…“ (Sterikova-Z nouze S.134)

5Getrunken wurde aus Not und Verzweiflung, im Glauben das Alkohol Kraft gibt für den müden Kör- per. Darum auch ihr Trinkspruch : „Na zdraíi“ – „Pán Bůh to dej“ („Zur Gesundheit“ – „Gott gebe es“ )

6Insgesamt dienten seit der Gründung bis zur Flucht im Jahre 1945 acht Pastoren in Friedrichsgrätz. Bis auf Pastor Klar konnten alle tschechisch. Der deutsche Pastor Klaar musste jedoch noch 1924 als er seinen Pfarrdienst in Friedrichsgrätz begann versprechen, tschechisch zu lernen. Diese Sprache lernte er so gut, dass er noch bis 1938 alle 3 bis 4 Wochen einen Gottesdienst für ältere Gemeindeglieder in tschechischer Sprache halten konnte.

7Noch am 10. 01. 1911in Oppeln musste für meinen Urgroßvater Johann Karliczek (geb. 8. 03. 1850) bei einem Notartermin ein Dolmetscher bestellt werden, da er der deutschen Sprache nicht mächtig war. (Dokument im Besitz des Autors)

8Die Bauern klagten über den Ernteertrag: “ Wenn man 6 Säcke Korn aussät, erntet man 9 Säcke, trotz sorgfältiger Bestellung! Das reicht nur ein 1/4 Jahr zur Ernährung unserer Familien.“ (Sterikova – Zeme… S.69)

9Für 40 Pfg. im Jahr durfte jede Familie im Wald trockenes Holz und Gestrüpp zum Heizen sammeln. Aber auch das Wenige, konnte Mitte des 19 Jh. so manche arme Familie nicht aufbringen. Trude Sterzik erzählte, dass ihre Urgroßmutter ohne Genehmigung beim Holzsammeln erwischt wurde. Sie wurde dafür mit 3 Tagen Gefängnis bestraft und das, obwohl sie eine Witwe mit 4 kleinen Kindern war.

1874 zählte man bei einer Viehzählung in dem 3 Km langen Dorf nur 7 Schweine. Das Schwein war unrentabel, es gab keine Milch und Fleisch stand nicht auf der Speisekarte..

Pastor Kmet schreibt in einem Gesuch um Unterstützung vom 8. 11. 1895

„...Der Boden in Friedrichsgrätz ist nur Sand. Nach mehreren Jahren Missernte sind mir 3 Kühe eingegangen. Dadurch habe ich 1500 Mark Schulden. Die kleine Mitgift meiner Frau, mussten wir für ärztliche Behandlung ausgeben.“

„Die Not im Dorf ist unglaublich. Weil die Menschen nicht zahlen können, schickt der Arzt die meisten Schwerkranken zu mir, ich möge ihnen etwas ungarischen Wein zur Stärkung geben. Solange mein Schwiegervater in Ungarn noch lebte, konnte ich vielen helfen…“

„…Der Schulunterricht ist sehr unzureichend. Für insgesamt 343 Kinder gibt es erst seit kurzem einen vierten Lehrer…“ (Sterikova – Z nouze… S.134)

Mein Opa Karlitzek pflegte immer zu sagen. “ Die Friedrichsgrätzer kommen alle in den Himmel, weil sie so- viel Not durchgemacht haben. „

10 Alfred Daniel mein Onkel geb. 1922 erzählte, dass er oft mit seinem Großvater in die umliegenden Städte und Ortschaften ( do sveta ) gewandert ist. Dort sammelten sie kaputte Schuhe ein. Nach der Reparatur wurden sie bei den Kunden wieder abgeliefert. Die Schuhe wurden an einem Stock, ( bidilko ) auf dem Rücken getragen. Für den ganzen Tag Mithilfe, bekam er vom Großvater 125 g Fleischwurst und eine Semmel. Sind die Geschäfte gut gelaufen, gab es noch ein Eis dazu.

11Meine Schwiegermutter erzählte mir über ihre Großmutter. „Schon als Kleinkinder mussten sie mit zum Blaubeeren sammeln. Als Belohnung für den fleißigsten Pflücker gab es den Kanten vom Brot.“ Der war etwas größer als die gewöhnliche Schnitte. Wehe der Beerenschein (gebührenpflichtige Sammelgenehmigung ) fehlte und sie wurden vom Förster erwischt. Dieser schüttete dann, ohne Erbarmen alles auf den Boden, um es zu zertrampeln. Eine Strafe gab es noch obendrein!

12Eigentlich war Münchhausen nur für deutsche Kolonisten geplant. Diese zeigten jedoch wenig Interesse dort zu siedeln (1850 wohnten nur 8 Deutsche dort), so dass sich stattdessen böhmische Familien aus Friedrichsgrätz hier niederließen. 1810 wohnten bereits 16 böhmische Familien in der nur 3 Km entfernten neuen Ortschaft. Sie gehörten jetzt zum Kirchensprengel Malapane, hielten sich jedoch weiter zu der Friedrichsgrätzer Kirchengemeinde.

131802 zog ein Teil junger Friedrichsgrätzer Familien nach Zelow. Dieses konnte jedoch nur für wenige Jahre das Problem der Überbevölkerung des Ortes lösen. Pastor Sikora schildert die Lage in Friedrichsgrätz in einem Gesuch vom 23 . 3. 1831 an das Landratsamt Oppeln. Er bittet dabei, um die Genehmigung zum Bau einer neuen Siedlung

„...In 101 armseligen Hütten wohnen 817 Seelen. Das wäre ja nicht schlimm. Hier aber kann der karge Boden sie nicht ernähren. Darum müssen sie in diesen Hütten noch, als Weber, Schuster, oder Schneider arbeiten…“ (Sterikova – Zeme… S.98)

Am 1. 6. 1832 wurde Petersgrätz mit 60 Siedlerfamilien gegründet. Erst nach 60 Jahren wurde eine eigene Kirche gebaut. Bis zu der Zeit mussten die Konfirmanden jede Woche zu Fuß 22 Km durch den Wald laufen. Meistens barfuss, bei Wind und Wetter. Nur in der größten Kälte durften sie ihre Holzpantoffeln anziehen. Nach einer Übernachtung im Pfarrhaus, ging es am nächsten Tag den gleichen Weg zurück. Sogar in meiner Kindheit sind wir noch den ganzen Sommer über barfuss gelaufen. Nur gut, dass es damals auf Straßen und Wegen kaum Glasscherben gab.

14In einem Antrag nach Berlin vom März 1875, mit der Bitte um die Erlaubnis ein neues Dorf in der Nähe gründen zu dürfen, steht folgendes: „…Friedrichsgrätz hat eine Fläche von 950 ha und 50 a dieses reicht zur Existenz von 1433 Seelen nicht aus. Der Boden ist an 100 Familien mit 836 Seelen aufgeteilt. 143 Familien (Mieter s. g. komornici) mit 597 Seelen haben daran keinerlei Anteil. Außerdem besteht ein Großteil aus sandigem oder versumpftem Boden…“ (Sterikova – Zeme… S. 69) 63 Familien mit insgesamt 358 Mitgliedern meldeten sich aus Friedrichsgrätz als Siedler für Wilhelmshort, alles arme Familien. Nicht alle waren in der Lage, die notwendigen Bankkredite aufzunehmen. Der Boden war besser wie in Friedrichsgrätz, trotzdem war der Anfang sehr schwer. Meine Verwandten mütterlicherseits siedelten auch dorthin.

Aus einem Zeugnis eines alten Ehepaares.“ Unsere Grundstücke haben wir 1906 gekauft. das aufgenommene Darlehen hat eine Laufzeit von 62 Jahren. Dafür zahlen wir jährlich 178 Mk . an Zins und Tilgung. Bei neun Kindern konnten wir nur mit großer Mühe das Geld aufbringen. Früh beteten wir um Gesundheit, Kraft und Hilfe um die viele Arbeit zu schaffen. Vor dem Schlafen, beteten wir um einen ruhigen Schlaf, denn unsere Knochen schmerzten von der schweren Arbeit. Das taten wir so jeden Tag.“ ( Mican S.64)

15 Anna Albrecht geb. 1905 erzählte mir folgendes. “ Die alten Häuser vor dem großen Feuer, hatten eine Stube, eine Kammer (komora) und den Stall. Die Stube diente als Küche, Werkstatt und Schlafraum. Die Kammer wurde meistens vermietet an noch ärmere Familien. (komornici) „

Meine Oma Jahrg. 1889 erzählte mir weiter: „Der Fußboden in der Stube war aus gestampftem Lehm. Jeden Samstag ist geputzt und gekehrt worden. Danach streute man frischen Sand aus dem Bach auf den Boden. Auch die Straße und die Plätze vor den Häusern wurden sauber gekehrt.“ Dann stieg die Familie in das wöchentliche Wannenbad, Alt und Jung schön der Reihe nach in das selbe Wasser. Oma schlief immer mit ihrer Großmutter in einem Bett, auch in der Nacht als diese starb. Sie weinte sehr viel um ihre Großmutter und die Erwachsenen konnten ihre Trauer nicht verstehen. Sie trösteten sie: „Weine nicht, Du hast doch noch deine Mutter.“ Ihre Großmutter war eine besondere Frau, sie heiratete einen Witwer mit 6 Kindern. Gemeinsam hatten sie nur eine Tochter. In aller Armut bemühte sie sich mit Schwerstarbeit, jedem Kind ein kleines Erbe mitzugeben („wenn ich vor Erschöpfung sterben sollte, will ich für alle Kinder etwas anspart haben, pflegte sie zu sagen“). Sie wurde bis zu ihrem Tod von allen Kindern geliebt und hoch geachtet.

Von Tante Goletz geb. 1898 weiß ich, dass sie als kleine Kinder zu viert in einem Bett geschlafen haben.

Großvater Daniel geb. 1886 sagte im Alter öfters: “ Die Menschen leben heute, gegenüber früher, wie im Paradies.“

16Kerze und Kreuz auf dem Altar wollten die Friedrichsgrätzer in ihrer Kirche nicht haben. Es war ihnen zu Katholisch. Nur unter amtlichen Druck, mussten sie es dulden. Als Pastor Sikora das erste mal, noch in der alten Kirche, heimlich Kerzen und Kreuz anbrachte, gab es einen Aufruhr unter dem Volk. Folgende Begründung dafür ist überliefert: “ Das Kreuz brauchen wir wegen den Katholiken in der Umgebung,“ denn sie meinen die Friedrichsgrätzer sind Ketzer und verachten das Kreuz Christi. Die zwei Kerzen auf dem Altar verbreiten Wärme“ und das ist gut für die schwachen Kinder, die zur Taufe gebracht werden.(Sterikova -Zeme…S.69)

17Im Sommer 1938 brannte das vorletzte strohgedeckte Haus. Mein Vater war als Feuerwehrmann maßgeblich an der Löschung des Feuers beteiligt. Die Feuerwehrspritze musste von sechs Männern per Hand angetrieben werden. Eine Motorspritze gab es damals noch nicht. Das letzte strohgedeckte Haus wurde nach 1945 von den Polen abgerissen.

18Um die wachsende Einwohnerzahl ernähren zu können, mussten später zusätzliche Anbauflächen erschlossen werden. Es waren „jesernik“ (Seefeld) – Richtung Guttentag, “ bahno“ (Sumpf – Schlamm) – Richtung Malapane und der „pridavek“ (Zugabe) – Richtung Münchhausen. Mein Opa Karlitzek erzählte, dass er 12 Stunden im 7 Km entferntem Hüttenwerk Malapane schwer gearbeitet hat und nach der Arbeit noch Wald gerodet und Baumstümpfe ausgegraben hat, um weiteres Ackerfeld zu schaffen. Dazu kam noch die viele Arbeit in seiner eigenen Landwirtschaft.

19In Leipzig gab es eine ganze Baukolonne aus Friedrichsgrätz . Mein Großvater Daniel arbeitete dort als Vorarbeiter. (Aus dieser Zeit habe ich ein altes Bild). Der Stiefbruder von Opa Karlitzek ist für immer in Leipzig geblieben.

20In einem Bericht von 1924 steht: „Die jungen Mädchen stehen um 4 Uhr morgens auf helfen im Stall. Dann laufen sie 2 Stunden zuFuß zur Waldpflanzung. Dort müssen sie 8 Stunden für 60 – 90 Pfg. und etwas Streu schwer arbeiten. Am Abend dann den gleichen Weg zurück“.(Mican S.16)

21Meine Großmutter erzählte mir wie schwer sie beim Bau der neuen Straße (kamenka) von Malapane nach Friedrichsgrätz als Steinpflasterin arbeiten musste.

22 Tante Anna lernte bei so einem Ernteeinsatz in Niedersachsen ihren Mann kennen. Für uns war es dann ein willkommener Zufluchtsort bei unserer Flucht 1945.

23 Trude Sterzik geb. 1927 berichtete mir folgendes: Bis 1935 war es Sitte, am Heiligabend in der Kirche das böhmische Weihnachtslied “ Cas radosti, veselosti “ in Tschechisch zu singen. Die Kirche war über füllt, alle sangen von ganzem Herzen mit. Als das Tschechischsingen von den Nazis verboten wurde, hat es Pastor Klaar mit dem Organisten Dr. Ganse ins Deutsche übersetzt. (Die deutsche Fassung liegt vor.) Weihnachten ohne dieses Lied wäre unvorstellbar gewesen.

Ab Herbst 1935 wurde es den Kindern sogar in den Schulpausen verboten Tschechisch miteinander zu sprechen. Einmal mussten die Kinder in der Schule einen Aufsatz schreiben, welche ihre Muttersprache ist und was sie ihnen bedeutet. Ein Schüler bekannte mutig „meine Muttersprache ist Tschechisch.“ Dafür musste er zur Strafe nachsitzen und 100 mal folgenden Satz schreiben: „Zehn Sprachen gab’s in Babylon, in Deutschland jedoch , spricht man Deutsch mein Sohn!“

24 Von 1924 habe ich einen Bericht über das kirchliche Leben in Petersgrätz: „…Nur eine Jungfrau darf mit Schleier, Myrtenkranz und Jungfern als Begleitung, getraut werden.“ Wehe die Brautleute haben den Pastor belogen. Es wurde öffentlich in der Kirche bekannt gegeben. Ende des Jahres bei Vorlesung besonderer Vorkommnisse im vergangenem Jahr, wurde diese Sünde noch einmal erwähnt. Außerdem wurde aus der Heiratsurkunde das Wort ehrbare Jungfrau / Jüngling gestrichen…(Mican S.52)

25 Der Bach war von preußischen Soldaten ausgehoben und begradigt. Französische Gefangene haben später diese Arbeiten zu Ende gebracht. Als zu der Zeit im Dorf eine neue Sorte Kartoffeln mit roten Knollen eingeführt wurde, nannte man diese „franzousi“, denn die französischen Gefangenen trugen rote Uniformhosen Für uns Kinder war der Bach (řeka = Fluss genannt) ein beliebter Spielplatz. Sein Wasser wurde für viele Zwecke gebraucht, (z. B. als Löschwasser, Waschwasser, Badewasser für Menschen und die Tiere). Für Trinkwasser hatten die meisten Haushalte einen eigenen Brunnen.

26 “ Schön habt ihr euer Dorf gebaut,“ meinte Prediger Blanický, „schieße ich mit einem Gewehr, vom Dorfanfang zum anderen Ende, dann fliegt die Kugel geradeaus die Straße entlang, ohne Schaden anzurichten. (Hlavnička S.55)

27Nach dem Zeugnis eines Lehrers von 1930 „sind die böhmischen Kolonisten ein sehr bescheidenes Volk. Ihre Hauptnahrung sind Kartoffeln, Kraut, Erbsen, Bohnen und Knödel aus rohen oder gekochten Kartoffeln. Aber noch 2 Jahrzehnte zuvor war eine Semmel für sie ein Leckerbissen. Erst seitdem viele mit Saisonarbeit zusätzliches Geld verdienen , sind auch Wurst, Fleisch und Kaffee auf dem Speisezettel zu finden“. (Sterikova – Zeme… S. 193)

28 Es wurden große Hochzeiten gefeiert. Ein beliebtes Sprichwort des Brautvaters war: „Wenn ich meine letzte Kuh verkaufen muss die Hochzeit wird groß gefeiert“. Schon in der Woche vorher wurde viel Kuchen gebacken und an die Dorfbewohner ausgeteilt. Die Hochzeitsfeier begann bereits mit dem Frühstück. Zur Trauung, die am Vormittag stattfand, lief meist der ganze Hochzeitszug vom Haus der Braut ab . Der Zug wurde vom Hochzeiter (druschba) angeführt und von vielen Zuschauern bewundert. Unterwegs musste oft angehalten werden, um an geschmückten, über der Straße gespannten Schnüren, Lösegeld zu zahlen. Statt mit Papierschleifen und bunten Tüchern waren die Schnüre bei dem Hochzeitszug meiner Eltern mit Backblechen behangen. Die Feier nach der Kirche begann mit dem Mittagessen und ging bis spät in die Nacht.

29Noch 1938 als meine Schwiegermutter heiratete, freute sich Pastor Klaar: „Endlich eine Fremdemeinte er. Und das obwohl Mutter nur aus dem 3 Km weitem Münchhausen war. Von allen Dörfern der ehemaligen böhmischen Flüchtlinge war Friedrichsgrätz der Ort mit den wenigsten fremden Familien. 1945 gab es im ganzen Dorf nur 3 Familien ohne böhmische Vorfahren.

30 Für ihre Heimat benutzten sie das Wort “ doma „ auf deutsch übertragen “ Zuhause.“ Das Wort bein- haltet mehr als Haus, Hof, Felder und Bekannte. Es war ein Zuhause mit eigener Sprache, Sitten, Religion und den vielen alten Omas, die den Kindern aus dem tschechischen Kancional (Gesangbuch) Lieder sangen. Meine Urgroßmutter hat uns oft fromme Lieder gesungen (und das mit fast 80 Jahren und sogar ohne Brille). Ihre Lieblingsbeschäftigung war das Singen frommer Lieder und das Lesen in der Bibel. Die Bibel nannte sie mit Ehrfurcht das goldene Gottes Wort (zlate slovo Bozi).

31Die altböhmische Sprache war durchsetzt mit angepassten deutschen und polnischen Wörtern. z. B. Bett wurde luschko genannt, richtig tschechisch müsste es postel heißen. Flasche war flaschka, richtig lahev. Schone Dich hieß: Schanuj se, richtig wäre es gewesen šetři se, Bonbons nannte man rybky tschechisch nennt man diese cukroví, Das Begräbnis bezeichnete man als Funus, auf tschechisch sagt man pohřeb u. v. a. Opa nannte 5 Pfg. immer greschle und 10 Pfg. Tscheskej.

32Im Dorf wiederholten sich viele Namen z. B. gab es 30x den Namen Sterik, dazu viele Malý, Novák, Spůra, Kraiči, u. v. m. Nur mit Bei – oder Spitznamen wusste man darum, um welche Person oder Familie es überhaupt geht. Wenn meine Oma von früher erzählte nannte sie die Leute immer mit Spitz – oder Beinamen. Die verschiedenen Familien Malý kannte man z. B. nur unter „Kupčik“, „Jirků“, „Galga“, „Lidův“, „Pekařů“, „Stěpánovi“, „Kačin“, „u Rejžů“ u. s. w.

33Viele Schikanen und Torturen mussten alle Zurückgebliebenen erdulden. Einige wurden misshandelt, vergewaltigt und sogar erschossen.

Onkel Hans Nowak haben die Russen mit einem Gewehrkolben grundlos zusammengeschlagen. Bis zu seinem Lebensende litt er daraufhin an starken Kopfschmerzen.

Ein anderer Nowak, auch „Prophet“ genannt, war ein strenger Kommunist. Seine Kinder durften zur Hitlerzeit nicht ins Jungvolk. Doch obwohl er den Russen seinen Parteiausweis zeigte, wurde er von ihnen misshandelt und erschossen.

Meine Großeltern Karlitzek haben die schwere Zeit unter der russischen und später der polnischen Besatzung nur mit viel Glück ohne größeren Schaden an Leib und Seele überstanden. Großvater arbeitete zwangsverpflichtet als Schuster für die russische Kommandantur. Großmutter damals 55 Jahre alt, musste sich oft ver- stecken oder außerhalb des Hauses schlafen. Am Tage verstellte sie sich wie eine alte „babuschka“. Sie war sehr mutig und kümmerte sich trotz „der Straße voller Russen“ um ihre betagten Eltern, die schräg gegenüber wohnten. Später sorgte Großmutter noch für fast 20 zurückgekehrte Flüchtlinge die nirgends eine Unterkunft fanden, denn ihre Häuser waren bereits von den Polen besetzt.

Als Pastor Radechovský ihnen anbot in die Tschechei auszureisen, waren sie sofort einverstanden, denn unter Polen wollten sie auf keinen Fall leben. Meine Schwiegermutter Ottilie Radimersky erzählt über diese Zeit folgendes: „Den Einmarsch der Russen erlebten wir in Altheide bei Glatz. Wir flüchteten dorthin, denn in Altheide wohnte die Familie meines Bruders Karl. Wir, das waren die Eltern, 3 Schwestern mit ihren Kindern, meine jüngste Schwester Ruth und ich mit meinen beiden Kindern Annette (6 Jahre) und Kristine (2 Jahre). Vor allem für uns Frauen war es eine schwere Zeit. Immer wieder hörten wir Schreie gepeinigter Frauen. Unser Glück war, dass wir etwas abseits der Ortschaft wohnten. Einmal war ich trotzdem in großer Gefahr. Nur das schlagfertige Ein- greifen meiner Mutter rettete mich vor einem Russen.

Im Juni 45 entschlossen wir uns dann nach Hause zurück zukehren. Zuerst fuhren wir mit dem Güterzug nach Gleiwitz. Die Bahnbeamten drohten fortwährend, uns ins Vernichtungslager zu fahren. In Gleiwitz gelang uns die Flucht. Von dort sind wir dann bis nach Münchhausen (ca. 45 Km) gelaufen. Unsere Füße waren geschwollen und voller Blasen. Mehrmals wurden wir von polnischen Soldaten angehalten und befragt wohin wir eigentlich wollen. Außerdem sind wir unterwegs einige Male überfallen und bestohlen worden. Sogar die Kinderschuhe meiner Tochter Kristel haben sie ausgezogen und den Kindergrieß mitgenommen. Zuhause angekommen fanden wir das Elternhaus unbewohnt. Doch schon nach ein paar Tagen kam die polnische Miliz. Wir Frauen sind alle vor Angst durch den Hinterhof in den nahen Wald geflohen. Den Vater hat die Miliz zusammengeschlagen und das Haus für eine polnische Familie beschlagnahmt. Noch zweimal mussten wir aus dem gleichen Grund umziehen. In dieser ganzen Zeit haben wir aus Angst nicht in den Häusern geschlafen, sondern in Scheunen. Es war ein Leben ohne Hoffnung. Für uns war es wie eine Erlösung als es hieß: Ihr Nachkommen böhmischer Flüchtlinge dürft in die Tschechei ausreisen. Dieses Angebot nahmen wir dankbar an“.

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8 Gedanken zu “Geschichte der böhmischen Flüchtlinge in Friedrichsgrätz”

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